Frager: Interessantes Thema. Was ist das, Psychohygiene?

 

JRH: Nun, was ist die Psyche?

 

Frager: Wenn ich ehrlich bin: Ich weiß es nicht.

 

JRH: Diese Antwort gefällt mir. Alles andere hätte mich misstrauisch gemacht.

 

Frager: Warum?

 

JRH: Weil über die Psyche unendlich viel geschrieben, geredet oder gar geforscht wurde und wird, und jeder meint dabei offenbar, recht genau zu wissen, wovon er redet.

 

Frager: Weißt du es?

 

JRH: Für mich selbst, ja. Aber ich bezweifle, dass ich dies in Worte fassen könnte. Vielleicht auch gar nicht will.

 

Frager: Warum nicht?

 

JRH: Weil das die Menschen davon abhalten könnte, ihrer eigenen Psyche, d. h. vielmehr sich selbst, auf die Schliche zu kommen.

 

Frager: Die Psyche ist das Selbst?

 

JRH: Die Psyche ist ein Konstrukt, über das die Menschen reden, als sei es ein Objekt, ein Gegenstand, ein Thema unabhängig von ihnen selbst.

 

Frager: Eine Abspaltung.

 

JRH: Ja, eine künstliche Abspaltung. So glauben z. B. viele Menschen, wenn sie von ihren „psychischen“ Problemen reden, sie aufschreiben, sie äußern, also ver-äußern, einer kleinen oder größeren Öffentlichkeit darbieten, dass es ihnen helfen würde, sich von den Problemen zu lösen.

 

Frager: Und das tut es in Wirklichkeit nicht?

 

JRH: Ich habe es jedenfalls noch nie erlebt, dass dies eine Lösung wäre. Im Gegenteil.

 

Frager: Aber warum tun die Menschen es dann, wenn es sie nicht erleichtert?

 

JRH: Sie glauben, dass es sie erleichtert.

 

Frager: Nun, das ist doch auch was, wenn es hilft, warum nicht?

 

JRH: Es hilft den Problemen.

 

Frager: Inwiefern?

 

JRH: Davon ausgehend, dass alle Probleme, die sich auf welche Weise auch immer im Physischen offenbaren, gedanklichen Ursprungs sind, ist die Verbreitung von Problemen über Gedanken und ihre Manifestierung in Sprache der Verbreitung von Viren und Bakterien gleich.

 

Frager: Warum fühlen sich dann die Menschen erleichtert, wenn sie davon reden?

 

JRH: Sie erfreuen sich an dem Spiegelbild. Wer gerade mies drauf ist und einem glücklichen Menschen begegnet, empfindet das eigene Unglück als unerträglich. Da ist es doch viel schöner für ihn, wenn der glückliche Mensch von seinem Leid angesteckt wird.

 

Frager: Ich weiß nicht. Ich finde es eher unverschämt.

 

JRH: Aber genauso läuft es.

 

Frager: Leider ja. Aber wie sollte es besser gehen?

 

JRH: Voraussetzung wäre, mal wieder, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst wird und sie annimmt. Die Verantwortung für das eigene Denken.

 

Frager: ... und Reden.

 

JRH: Es reicht, sich dem Denken zu widmen. Das geht dem Reden und Schreiben schließlich voraus. Wenn ich hier achtsam und verantwortungsvoll sortiere, wird sich im geschriebenen und gesprochenen Wort nichts anderes manifestieren können.

 

Frager: Hygiene?

 

JRH: Der Gesundheit dienende Ordnungsmaßnahmen.

 

Frager: Beispiel?

 

JRH: Sich stets die Frage stellen: Ist das, was ich dem anderen sagen will, gut für ihn?

 

Frager: Kann ich das denn wissen, was gut für ihn ist?

 

JRH: Wissen nicht, aber annehmen durchaus. Wenn ich mir dessen nicht sicher bin, kann ich nicht guten Gewissens aussprechen, was ich auszusprechen wünsche.

 

Frager: Aber häufig heißt es, eine gute Freundschaft müsste das aushalten.

 

JRH: Nicht nur Freundschaften, auch verwandtschaftliche Verhältnisse unterliegen solch einem Glauben.

 

Frager: Missbrauchsfälle bedürfen solcher Nähe.

 

JRH: Richtig. Und gruselig zugleich.

 

Frager: Umso wichtiger, es zu benennen.

 

JRH: Da würde ich noch weiter gehen. Jeder Missbrauchsfall bedarf eines einzigen Menschen.

 

Frager: Er missbraucht sich selbst?

 

JRH: Ja. Und die Voraussetzung dafür ist der Glaube, die Psyche sei etwas von ihm Unabhängiges, Abspaltbares.

 

Frager: Das, was man verkopft nennt?

 

JRH: Unter anderem, ja. Das Denken verselbständigt sich, aber nur scheinbar. Es ist der Glaube, die Gedanken seien frei und hätten keinerlei Auswirkung auf das Leben, die Materie. Genau genommen SIND Gedanken aber bereits Materie, wenn auch nicht so verdichtet wie all das, was wir als Materie bezeichnen und wahrnehmen.

 

Frager: Dann sind Gedanken nicht frei?

 

JRH: Doch. Gedanken sind frei bzw. der Mensch, der denkt, ist frei zu denken, was er will.

 

Frager: Ist es so, dass der Mensch so frei ist, sich selbst in Gefangenschaft zu denken, also sich selbst seiner Freiheit zu berauben?

 

JRH: Bingo! Das ist es!

 

Frager: Aber wenn das so ist, also jeder Mensch für sich und seine Gedanken verantwortlich ist, wozu bedarf es dann der Hygiene zwischen den denkenden Menschen?

 

JRH: Derer bedarf es ja gar nicht. Nicht im Zwischenmenschlichen ist Hygiene gefragt bzw. wirksam und nötig, sondern im Menschen selbst, im Einzelnen.

 

Frager: Hui, was bedeuten würde, dass ich allein für mich fähig bin, mich frei von Ansteckungen zu denken.

 

JRH: Die Ansteckung gibt es genau genommen nicht.

 

Frager: Jetzt bin ich verwirrt.

 

JRH: Nimm das Fernsehprogramm. Es ist voller Angebote, Krimis mit Morden, Kriegsdokumentationen, Liebesfilme, Schnulzen. Du bist frei, dir den Film auszusuchen, den du sehen willst.

 

Frager: Aber wie soll ich das vorher wissen? Kann ja auch passieren, dass in einer angekündigten Liebesschnulze ein Mord geschieht.

 

JRH: Dann warst du dir selbst nicht sicher, was du sehen wolltest.

 

Frager: Wie das?

 

JRH: Du bekommst, was du wählst.

 

Frager: Wenn ich aber Liebesschnulze gewählt habe?

 

JRH: Hast du? Hier wäre nun wieder ein aufrichtiges Selbstgespräch mit dir angesagt. Da musst du aber schon tiefer gehen und ehrlich sein mit deinen Gedanken und Gefühlen.

 

Frager: Also Klärungsarbeit.

 

JRH: Womit wir wieder bei der Hygiene sind.

 

Frager: Das muss ich erst mal sacken lassen.

 

JRH: Aber ja. Alles braucht Zeit. Die genutzt werden will.

 

Frager: Statt unbedacht durchs Leben zu zappen wie durch die TV-Kanäle.

 

JRH: Das lass ich als Schlusswort stehen, danke!

 

Jutta Riedel-Henck, 20. Januar 2016

 

 

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