Frager: Frau Riedel-Henck, Sie wirken selbstbewusst und unabhängig in Ihrem Auftreten, ist das ein Problem für Sie als Partnerin?

 

JRH: Ja, das ist oder vielmehr war es, ich arbeite daran, es nicht zu meinem Problem zu machen.

 

F: Das geht?

 

JRH: Nun, entweder bin ich ich und unabhängig, oder ich bin es nicht. Ich habe ja die Wahl.

 

F: Sie meinen, Sie haben die Wahl zwischen sich selbst und einer Partnerschaft?

 

JRH: Es kommt darauf an, was Sie unter Partnerschaft verstehen.

 

F: Ich gestehe, dass ich in dieser Hinsicht planlos bin, deshalb frage ich Sie.

 

JRH: Planlos. Das war ich auch. Ich habe alles Mögliche zugelassen, ohne bewusst zu suchen, bis mir klar wurde, dass diese Planlosigkeit nur altes Zeug nährt.

 

F: Was meinen Sie mit altem Zeug?

 

JRH: Alte Rollenverteilungen, alte Klischees, alte Muster, alte Machtverhältnisse.

 

F: Man sollte meinen, dass sich hier einiges geändert hat oder nicht?

 

JRH: Das habe ich auch einmal zu glauben gewagt. Heute stehe ich an dem Punkt der Erkenntnis, dass sich grundsätzlich nichts geändert hat, wenn auch an der Oberfläche viel gewerkelt wurde.

 

F: Gewerkelt?

 

JRH: Ja, geredet, geschrieben, so getan als ob, gelogen, geschauspielert, im Grunde reine Ablenkungsmanöver vor dem Blick in die eigene Tiefe.

 

F: Ihre Tiefe?

 

JRH: Meine Tiefe kenne ich sehr gut. Ich fühle mich wohl in ihr. Was ich nicht aus der Tiefe heraus empfinde, ist mir nichts wert. Entsprechend suche ich auch bei anderen nach diesem Tiefgang.

 

F: Und? Wurden Sie fündig?

 

JRH: Was nützt es, wenn ich fündig werde? Ich möchte mir ja die anderen Menschen nicht zugänglich machen, indem ich in ihnen wühle oder gar forsche. Das ist zwar möglich und auch nicht wirklich schwer, aber unbefriedigend.

 

F: Warum?

 

JRH: Wer sich seiner eigenen Tiefen nicht bewusst ist, übernimmt keine Verantwortung für sich selbst. Ich mache mich doch abhängig von solchen Menschen! Das ist schrecklich.

 

F: Oder sie machen sich abhängig von Ihnen.

 

JRH: Ja, beides. Ich habe ein kriminologisches Gespür. Menschen, die sich ihrer Tiefen nicht bewusst sind, begegne ich mit großem Misstrauen. Sie zu ergründen, gibt mir Sicherheit, um mich vor Unvorhersehbarem zu wappnen. Aber schön ist das nicht. Und im Grunde auch keine echte Hilfe, sondern mehr eine Art Notwehr.

 

F: Wie gehen Sie damit um?

 

JRH: Ich kann damit nicht wirklich umgehen. Eigentlich bin ich hilflos, was andere Menschen betrifft. Ich sehe nur, erlebe es mit, was Menschen alles tun, um nicht auf sich, in sich selbst zurückzufallen. Es macht mich wütend, ratlos, lässt mich resignieren. Was sollte ich denn tun?

 

F: Aufklären? Darauf hinweisen?

 

JRH: Alles schon versucht, und nicht nur das. Ich kann nichts tun. Es ist mir nicht möglich, andere Menschen zu bewegen, zu motivieren. Zumindest nicht jene, die sich weigern.

 

F: Andere schon?

 

JRH: Wer sich nicht weigert, sondern von sich aus sucht, bedarf doch keiner Motivation von außen.

 

F: Auch wieder wahr.

 

JRH: Nun, das meinte ich mit meiner Aussage, ich übe mich darin, das Problem der anderen nicht mehr zu meinem zu machen. Ich kann es ja ohnehin nicht lösen.

 

F: Aber wie soll sich so etwas ändern? Wenn die Leute, die sich weigern, durch nichts bewegt werden können?

 

JRH: Durch nichts? Das weiß ich nicht. Das Leben geht ja immer weiter. Vielleicht geschieht ihnen irgendetwas. Aber ich, ich kann das nicht herbeiführen. Und ehrlich gesagt, das sehe ich auch nicht als meine Aufgabe.

 

F: Was sehen Sie denn als Ihre Aufgabe?

 

JRH: Ich habe keine Aufgaben. Wer sollte sie mir denn stellen?

 

F: Das Schicksal? Ein Schicksalsplan? Gott?

 

JRH: Nein, daran glaube ich nicht. Für mich existiert weder ein Plan noch ein Gott, der mit mir Pläne gemacht hat.

 

F: Sie meinen, das Leben sei sinnlos?

 

JRH: Sinnlos? Oh nein. Absolut sinnreich! Wenn ich nicht in allem einen Sinn erkennen könnte, hätte ich mich schon längst selbst begraben.

 

F: Was ist dann der Sinn?

 

JRH: DEN Sinn gibt es nicht. Oder sagen wir den Über-Sinn. D. h. es gibt für mich kein endgültiges Ziel, das ich erreichen wollte, nur viele kleine Ziele, ja, noch nicht einmal die. Ziel und Sinn sind nicht identisch.

 

F: Und worin unterscheiden sich Ziele vom Sinn?

 

JRH: Das Ziel ist für mich ein Ort, der sich in meiner Vorstellung besser anfühlt als das, was ich aktuell fühle. Ich denke eigentlich nur an Ziele, wenn ich unzufrieden und unglücklich bin.

 

F: Was für Ziele sind das?

 

JRH: Wenn ich darüber nachdenke, wird es schwierig. Sobald ich ein Ziel konkretisiere oder es versuche, verliert es seine Attraktivität.

 

F: Seine Anziehungskraft?

 

JRH: So in etwa. Ich merke dann, dass die konkreten Dinge mir gar nicht wichtig sind.

 

F: Sondern?

 

JRH: Wenn ich das wüsste – in solchen Momenten ...

 

F: Stehen sich die Sinnsuche und konkrete Ziele gegenseitig im Weg?

 

JRH: Sehr gute Frage! Und im Grunde schon die Antwort.

 

F: Auf die Sie mich gebracht haben.

 

JRH: Nein, darauf sind Sie selbst gekommen.

 

F: Auch wieder wahr.

 

JRH: Sagen wir es so: Wir beide haben uns in diesem Moment, in dieser Antwort getroffen. Wir sind unabhängig voneinander darauf gekommen. Alles andere wäre auch sinnlos.

 

F: Sinnlos?

 

JRH: Zumindest sinnlos für einen von uns beiden. Alles, worauf Sie nicht selbst kommen, was nicht AUS Ihnen selbst kommt, ist sinnlos.

 

F: Ich beginne zu verstehen. Sinnvoll. Meine eigenen Sinne, meine Besinnung auf mich selbst, auf meine Tiefen.

 

JRH: Ja, es in sich selbst zulassen und aufsteigen lassen.

 

F: Wunderbar. Jetzt bin ich auf eine völlig unerwartete Weise an einem Punkt angekommen, nach dem ich offenbar suchte, als ich Sie in ein Gespräch verwickelte.

 

JRH: Ich freue mich!

 

F: Ich auch.

 

JRH: DAS ist wahre Partnerschaft.

 

F: Aber seien wir doch ehrlich, dieses Gespräch ist ein Selbstgespräch. Mich gibt es gar nicht.

 

JRH: Doch, es gibt Sie! Sie sind mein Traumpartner.

 

F: Einverstanden.

 

JRH: Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Ob wir einander irgendwann begegnen?

 

F: Lassen wir es drauf ankommen.

 

JRH: Oh ja!

 

F: Bis später ...

 

JRH: Später? Es gibt nur das Jetzt.

 

F: Auch wieder wahr.

 

JRH: Wir sollten diesen Moment nicht weiter zerreden.

 

F: Gut. Schweigen wir.

 

JRH: ...

 

Jutta Riedel-Henck, 17. Januar 2016

 

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