Das Blatt ist weiß, und nur ein Gedanke kreist in meinem Ich: Gibt es noch Worte, die des Niederschreibens wert sind?

Wurde nicht alles bereits gesagt, geschrieben, in unendlich scheinenden Variationen wiedergekäut, um alle erhofften Lösungen mit verbalen Alt-Lasten in die Tiefe der Seele zu drücken?

Bleiern die Worte, die ich lese, höre – in mir der Wunsch nach Befreiung aus dem Gefängnis der leblosen Sprachformen, die mit Gefühlen überfüttert werden, um sie anschließend in den Kühlschrank zu stellen.

Eine Welt ohne Worte gibt es nicht. Jeder Ton bedarf der Form, um sichtbar zu sein. Die kleine Form, die große Form, Collagen alter Formenschnipsel, Puzzleteile gefügt und wieder aus dem Rahmen gerissen. Wie Zettel liegen sie auf den Tischen der Formen-Milliardäre. Formenreichtum – Armut der Seele. Klumpenweise zerstören sie die Freiheit der Empfindung. Hochstapler spielen sich in die Spitzen der Charts ruhmgeiler Künstler jeden Genres, ob Klassik, Pop, Hip-Hop, Jazz oder „Neue Musik“ – selbst die Improvisation beweist sich als Zwangsjackenmode geschickter Klang-Bau-Unternehmer, dem Hörer Altes für Neu zu verkaufen, während die Kreise sich im undurchschaubaren Marktgewühl zu Knäueln verwickeln, deren abgerollte Fäden sich ungeachtet menschlicher Bedürfnisse ineinander knoten, um Monster wirrer Werke zu hinterlassen, die ob ihrer Unverstandenheit mit dem Prädikat GGG für Grandios-Genial-Geil auf dem Friedhof gerühmter Star-Leichen kochen, angefeuert von einer wachsenden Schar jubelnder Fans.

Zwischen hyperaktiv überkandidelt und meditativ versunken depressiv schwanken die durch Schwerstarbeit rauchenden Wichtigtuer durch das öffentliche Dasein, während sie ihre innere Leere geheimnisvoll verhüllen wie einen unsichtbaren Weisheits-Stein.

Öffentlich geheim und geheim öffentlich, kein Widerspruch. Geheim ist in dieser spirituellen Öffentlichkeit das Geheimnis, um das sich Mythen ranken, die es zu entschlüsseln gilt, ohne der Wahrheit in die Augen zu blicken. Schlüsseldienste haben Hochkonjunktur! Hinter jeder Tür offenbart sich ein Geheimnis, das zum nächsten Schlüssel führt, um die geheimnisvoll offenen Türen einzurennen und mit staunenden Blicken über die Leere des Raumes zu stolpern, in dem die Seele keine Heimat findet. Oh holdes Herz, was willst du mehr als immerzu nur suchen? Suchend dreht sich die Suche um das Suchen der Suche. Wer findet, steht enttäuscht vor dem Nichts und setzt die Suche fort, dem Irrsinn zuliebe, der alle Leeren mit Inhalt füllt.

Das Glück ist mir zugetan. Entschlossen zu schreiben über die Sinnlosigkeit im Dienste des Sinnlosen, dass das Sinnlose im Sinnlosen endet, statt sich in sinnlosen Kreisen zu verlieren, ohne die Besinnung gefunden zu haben.

Kein Über-, Unter-, Nach- und Vordenken, stattdessen schenken die Sinne dem Denken ihren Sinn, ohne darüber nachzudenken.

Sinn im Sein.

Jutta Riedel-Henck, 9.9.2007

 

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