Wenn unser Geist die Materie bestimmt, unser Denken den Zustand unseres Körpers, dient jede gedankliche Beschäftigung mit Krankheit ihrer Pflege, ihrem Erhalt, ihrer Verstärkung. Warum also scheinen manche bis viele Menschen geradezu Gefallen daran zu finden, über Krankheiten zu sprechen und schreiben, sie unentwegt zu thematisieren, sie gar als Anlass zu nehmen, kommunikative Bänder zu knüpfen infolge eines Bedürfnisses, miteinander zu reden (bzw. schreiben)?
Ich habe dies häufig beobachtet mit der Folge, dass die auf solchen Wegen miteinander Verknüpften immer kränker wurden. Logisch, wenn Gedanken aller Materie vorausgehen.
Dennoch scheint es vielen Menschen Freude zu bereiten, Probleme als Probleme zu behandeln, um sich vor echten Lösungen zu drücken. Eine echte Lösung wäre schließlich die Lösung vom Problem selbst, also es los-zu-lassen, das Darüber-Reden (bzw. Schreiben) zu lassen.
Hier wird deutlich, dass die Krankheits-Thematisierer womöglich nicht wissen, worüber sie sonst reden sollten. Warum nicht einfach schweigen, solange es an konstruktiven Ideen mangelt? Warum sich nicht einfach mal langweilen? Auf sich selbst zurückgeworfen sein? Warum glauben viele Menschen, sie müssten reden oder schreiben, um zu kommunizieren? Warum glauben sie, Kommunikation sei ein aktives Tun, indem Gedanken, Gefühle in Worte gefasst werden?
Solange sie nicht auf-hören, d. h. auf-hörend innehalten, geben sie der Erfahrung wahrhaftigen Horchens, der Entfaltung ihrer Sinnesvielfalt, keine Chance.
Vor lauter Tun – Lesen, Gucken, Hören, Reden, Schreiben, Fotografieren, Bilder einfangen ... – wird das Loch im Selbst gemieden, die Öffnung zu allem. Die Menschen benutzen jede Art von Ablenkung als Beruhigungsmittel, um dabei von dem Weg, der zu Lösungen führt, wegzuleiten.
Für all ihr Tun findet sich stets eine Rechtfertigung. Die Krankheit wird verteidigt, allem logischen Denken zum Trotz. Lieber krank als in dem vermeintlich dunklen Loch des Selbst landen, vor dem sich die Menschen fürchten. So wurde aus der wunderbaren Offenheit der Seele, die mit aller Schöpfung, mit allem Heil verbunden ist, ein gemiedenes Tor, zugestellt mit lauter Gerümpel und Müll.
Während ich diese Zeilen schreibe, kommt mir der Begriff „Arschloch“ in den Sinn. Gefolgt von „Arschkriecher“. Die Kehrseite der Vermeidung, sich in das eigene Loch fallen zu lassen, also bei sich selbst zu sein, durch sich selbst Kontakt zur Schöpfung aufzunehmen, aus der Quelle zu schöpfen, der Heilquelle allen Lebens?
Ich wünsche mir, dass gerade jene, die es lieben, über Krankheiten zu reden, einmal ausprobieren, Begriffe ihres Sprachschatzes bewusst zu ersetzen im Hinblick auf das, was sie unter gesund verstehen. Vielleicht wird ihnen durch solch strenge Selbstreflexion klar, wie verfangen, festgefahren bis zwanghaft sie ihre Krankheiten am Leben erhalten. Heilung kann immer nur und ausschließlich Selbstheilung sein.
Jutta Riedel-Henck, 26. Juni 2016